Die Low-Dose-Rate Brachytherapie (LDR-BT) hat sich über Jahrzehnte als Therapieoption für das lokal begrenzte Prostatakarzinom bewährt. Interessanterweise unterscheidet sich die Empfehlung der AWMF S3-Leitlinie von der der EAU-Leitlinie. Letztere zieht die LDR-BT nicht nur für Patienten mit niedrigem, sondern auch mit mittlerem Risiko (Gleason-Scores bis 7a (3+4)) in Betracht. Daten von Viktorin-Baier et al. zeigten eine ähnlich Wirksamkeit der LDR-BT für beide Risikogruppen. Das veranlasste uns die Ergebnisse an einer deutschen Kohorte zu überprüfen.
Hintergrund
Die Bestrahlung bei der LDR-BT erfolgt über radioaktive Isotope mit einer geringeren Radioaktivität, z. B. Palladium95 oder Jod125, die in einer kurzzeitigen Operation perineal in das Prostatagewebe implantiert werden und permanent verbleiben. Der Vorteil dieser Methode liegt im minimalinvasiven und organerhaltenden Vorgehen, mit kurzem stationären Aufenthalt, bzw. ambulantem Vorgehen, geringer perioperative Morbidität und postoperativen äußerst selten auftretenden Nebenwirkungen wie z. B. Inkontinenz und erektile Dysfunktion.
Empfehlungen der Leitlinien
Die Anwendung der LDR-BT als Monotherapie bei lokal begrenzen Prostatakarzinomen mit niedrigem Risiko mit einem Gleason-Score von 6 (3+3) wird von der AWMF S3-Leitlinie empfohlen. Zudem empfiehlt die EAU die LDR-BT bei Gleason-Scores von 7a (3+4). Beide Leitlinien empfehlen die Brachytherapie in Kombination mit externer perkutaner Bestrahlung der Prostata bei Patienten mit intermediärem und hohem Risiko als Behandlungsalternative [1, 2].
Studienlage
Die LDR-BT wurde in einigen Studien bereits retrospektiv und prospektiv untersucht und zeigte gute onkologische Ergebnisse. ▶ Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse einiger Studien anhand des biochemischen rezidivfreien Überlebens (bRFS d. h. PSAfreies Überleben) als Übersicht.
Die Seattle-Group um Sylvester et al. publizierte 2011 die Studie mit dem längsten Beobachtungszeitraum. 215 Patienten der niedrigen, intermediären und hohen Risikogruppe nach D’Amico wurden in der prospektiv angelegten Studie untersucht [3]. Mit einem medianen Follow-up von 15,4 Jahren zeigte sich ein bRFS von 85,9 %; 79,9 % und 62,2 % respektive.
2020 kamen die ersten Langzeitergebnisse zur LDR-BT aus dem deutschsprachigen Raum: Eine schweizerische prospektive multizentrische Studie von Viktorin-Baier et al. untersuchte 1.291 mit einer LDR-BT behandelten Patienten der niedrigen und intermediären Risikogruppe. Das mediane Follow-up lag bei 37,1 Monaten. Für das bRFS ergaben sich nach 7 Jahren bei der niedrigen Risikogruppe Werte von 94 % sowie 83 % für Patienten mit intermediärem Risiko. Bei Gleason 7b (4+3) traten signifikant höhere biochemische Rezidivraten auf. Die LDR-BT erwies sich insgesamt als effektive Behandlungsoption bei Patienten mit einem Gleason-Score von 6 sowie 7a [4].
Derzeit haben zwei abgeschlossene randomisierte Kontrollstudien („randomized control trial“ = RCT) die LDR-BT mit der radikalen Prostatektomie (RP) hinsichtlich der onkologischen Effektivität untersucht. Für das Niedrig-Risiko Prostatakarzinom zeigen die beiden von Giberti et al. publizierten Arbeiten aus den Jahren 2009 und 2017 keinen signifikanten Unterschied im bRFS zwischen den beiden Behandlungsverfahren mit 91,7–96,1 % (LDR-BT) vs. 91–94,4 % (RP) [5, 6].
Ein 2016 publizierter Zwischenbericht der ASCENDE-RT-Studie zeigte in der Behandlung von Intermediär- und Hoch-Risiko-Patienten signifikante Unterschiede zwischen externer perkutaner Strahlentherapie der Prostata (External Beam Radiation Therapy, EBRT) und der LDR-BT. Eine Kohorte von 398 Männern wurde in dieser RCT einem EBRT-Arm oder einem EBRT + LDR-BT-Arm zugeführt. Bei der Brachytherapie-Gruppe lag das geschätzte bRFS (nach Kaplan-Meier Methode) zwischen 83–89 % vs. 62–84 % für die EBRT-Gruppe. In Abhängigkeit des Follow-ups zeigte sich ein signifikanter Unterschied im bRFS zugunsten der Kombination aus LDR-BT und EBRT. Bemerkenswert ist, dass es nach dem vierten postinterventionellen Jahr zu einer signifikanten Zunahme an biochemischen Rezidiven im EBRT-Arm kam. Die Brachytherapie- Gruppe zeigte nach einem medianen Follow-up von 6,5 Jahren verglichen mit der EBRT-Gruppe eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit der biochemischen Rezidivfreiheit (HR: 2,04; p = 0,004) [7].
Download Tabelle 1:
Resultate anderer Studien der LDR-Brachytherapie mit biochemischen rezidivfreien Überleben als Endpunkt. Abhängig von der Studie mit bRFS-Daten derGesamtkohorte oder entsprechend der Risikogruppe. *csSP= cancer-specific Survival Probability.
Nebenwirkungen und Lebensqualität
Bei den Nebenwirkungen der LDRBT dominieren irritative Miktionsprobleme die innerhalb eines Jahres bei fast allen Patienten sistieren [9]. Aus der ProtecT und PCOS Studie gingen höhere Inkontinenz- und erektile Dysfunktionsraten bei Patienten nach radikaler Prostaektomie im Vergleich zur externen perkutanen Strahlentherapie der Prostata hervor [10, 11]. Die einzige randomisierte Kontrollstudie, die Daten zur Lebensqualität nach LDR-Brachytherapie im Vergleich zur radikalen Prostatektomie liefert, ist die von Giberti et al. 2009 durchgeführt Studie.
Einsatzhäufigkeit der LDR-BT
Trotz guter onkologischer Effektivität bei einem Gleason-Score von 6 und 7a wird die LDR-BT bei der Behandlung des Prostatakarzinoms in Deutschland nur in begrenztem Umfang eingesetzt, verglichen mit der radikalen Prostatektomie und der externen Strahlentherapie. In den USA herrschte zuvor ein umgekehrtes Verhältnis von Strahlentherapie und operativer Therapie. Im Zeitraum von 2004 bis 2011 wurden in den USA etwa zwei Drittel aller Patienten mit einer primären Strahlentherapie behandelt, wohingegen ein Drittel eine radikale Prostatektomie erhalten haben. Im selben Zeitraum erhielten in Deutschland 10 % eine primäre Strahlentherapie und 66 % eine RP [13]. Aktuellere Daten aus den USA zeigen die Abnahme von zuvor 25 % auf 16 % von mit einer LDR-BT behandelten Patienten [14]. Gründe für diesen Trend können die zunehmende Beliebtheit der roboter-assistierten laparoskopischen Prostatektomie sowie die in internationalen Leitlinien fest verankerte aktive Überwachung sein. Zuletzt
wurde bei der aktiven Überwachung das Indikationsspektrum mit der Leitlinie der EAU (2022) auf Patienten mit einem Gleason- Score von 7a erweitert, was die Konkurrenz bei der Indikationsstellung
erhöht [15].
Fragestellung
In den Empfehlungen zwischen deutscher und europäischer Leitlinie herrscht eine Diskrepanz bezüglich der Anwendung der LDRBT als kurative Behandlungsoption des lokal begrenzen Prostatakarzinoms. Die Empfehlung der deutschen Leitlinie basiert auf einer durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragten und im September 2020 herausgegebenen Risiko-Nutzen- Analyse. Bereits dort wurde die Anwendung der LDR-BT beim Prostatakarzinom mit einem Gleason- Score von 7a kontrovers diskutiert [16]. Die Studie von Viktorin-Baier et al., die nahezu idente Wirksamkeit bei Patienten mit Gleason-Score von 6 oder 7a aufweist, veranlasste uns, diese Ergebnisse an einer deutschen Kohorte zu prüfen.
Download Tabelle 2:
Patientencharakteristika sowie Hazard Ratios des biochemischen rezidivfreien Überlebens (bRFS).
Studiendesign & Untersuchungsmethoden
In unserer multizentrischen retrospektiven Studie untersuchten wir 733 mit einer LDR-BT behandeltePatienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom im Zeitraum von 2004–2019. Die Eingriffe wurden an der Klinik für Urologie und Kinderurologie der SLK-Kliniken Heilbronn sowie der urologischen Belegabteilung des Kreiskrankenhauses Emmendingen mit identischer Bestrahlungstechnik und Seed-Aktivität vorgenommen. Alter, Gleason- Score, initialer prostataspezifischer Antigen-Wert (iPSA), gesamte und positive Prostatastanzbiopsien, Prostataseitenbefall, Prostatavolumen sowie PSA-Verlaufswerte gehörten zu den erfassten Parametern. Eine Auswertung der PSAWerte erfolgte aus der Nachsorge der Patienten drei, sechs und zwölf Monate nach Implantation und anschließend jährlich. In die Untersuchung wurden Patienten mit mindestens sechs Monaten Nachbeobachtungszeit aufgenommen. Als Definition für ein biochemisches Rezidiv wurde die „Nadir+2 ng/ ml“-Definition (Phoenix-Definition) festgelegt. Das bRFS wurde als primärer Endpunkt ausgewertet. Die Kohorte wurde anhand der in ▶ Tabelle 2 aufgelisteten Parameter stratifiziert und individuelle Faktoren mit Einfluss auf das bRFS untersucht. Das bRFS der Subgruppen wurde für die Parameter mit signifikanten Einfluss (p-Wert < 0,05) mithilfe der Kaplan-Meier-Methode berechnet. Des Weiteren wurden multivariate und univariate Regressionsanalysen sowie die Berechnung von Hazard Ratios (HR) nach Cox-Regressions-Modellen vorgenommen.
Bestrahlungstechnik
Das radioaktive Isotop Jod125 diente als Strahlenquelle. Das in Seeds enthaltene Jod125 wurde per „4D-Methode“ mittels Hohlnadeln transperineal in die Prostata implantiert. Die 4D-Methode ergibt sich aus
der 3D-Planung des Zielvolumens (d. h. Prostata) und der Ablage der Seeds unter „Echtzeitbedingung“. Die 3D-Planung erfolgte zunächst mit dem transrektalen Ultraschall (TRUS) der Prostata zur Festlegung
des Zielvolumens. Die Templateund TRUS-gesteuerte Implantation schloss sich an. Mithilfe der 4D Methode konnten vor Ablage der Seeds die Lokalisation der Nadel durch das TRUS-Bild im Planungssystem lokalisiert werden und die geplante mit der tatsächlichen Position abgeglichen werden (▶ Abb. 1).
Abb. 1:
a) Schematische Vorgehensweise der Volumenstudie der Prostata in 5 mm Schichten
b) Einzeichnen der Ziel- und Risikoorgane mittels Planungssoftware
c) Template- und TRUS-gesteuerte Seed-Implantation in Steinschnittlage
d) Zufriedenstellendes Ergebnis mit orthotop einliegenden und homogen verteilten Seeds
Ergebnisse
Insgesamt wurden zwischen September 2004 und September 2019 619 Patienten mit mindestens 2 postoperativen PSA-Bestimmungen ausgewertet. ▶ Tabelle 2 zeigt die Patientencharakteristika der untersuchten Kohorte. Das mediane Follow-up lag bei 52 Monaten (6–180).
Erwartungsgemäß hatte der Gleason-Score einen hochsignifikanten Einfluss auf das Auftreten eines biochemischen Rezidivs (p < 0,0001). Die multivariate Analyse ergab, dass der Gleason-Score den höchsten statistischen Einfluss auf das onkologische Ergebnis hatte. Der Großteil der Kohorte (83,6 %) bestand aus Patienten der niedrigen und intermediären Gruppe mit einem Gleason-Score von 6 (40,1 %) und 7a (43,5 %). Über den gesamten Beobachtungszeitraum trat bei 9,68 % und 7,81 % respektive ein biochemisches Rezidiv nach Phoenix-Definition auf. Eine deutliche Zunahme der Rezidivrate konnte bei Patienten mit einem Gleason-Score von 7b beobachtet werden, die eine Monotherapie erhielten. Vergleicht man Patienten mit Gleason-Score 7a und GS 7b zeigte sich bei letzteren ein 170 % höheres Risiko für ein biochemisches Rezidiv(HR 2,7; p < 0,0001; KI: 1,35–5,4). Die Kaplan-Meier Kurven für Gleason-Score 6 und 7a verliefen über den dargestellten Zeitraum annähernd gleich (▶ Abb. 2). Das bRFS für Patienten mit Gleason-Scores von 6 und 7a lag bei > 90 %. Es bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen.
In der Analyse der Risikogruppen nach D’Amico konnte bei Patienten mit niedrigem Risiko in 9,95 % und bei Patienten mit intermediärem Risiko in 9,67 % der Fälle ein biochemisches Rezidiv beobachtet werden. Die Risikogruppierung hatte einen signifikanten Einfluss auf das Auftreten eines biochemischen Rezidivs (p < 0,0001), wobei sich zwischen den Gruppen mit niedrigem und intermediärem Risiko kein signifikanter Unterschied im biochemisch rezidivfreien Überleben zeigte (▶ Abb. 3).
Laut unserer Auswertung hatte die Seitenausdehnung des Prostatakarzinoms innerhalb der Prostata keinen signifikanten Einfluss auf das bRFS (p = 0,28). Auch beim Prostatavolumen konnte kein signifikanter Effekt beobachtet werden. Bei großen Prostatadrüsen von bis zu 100 ml zeigte sich ebenfalls kein signifikanter Anstieg an biochemischen Rezidiven (p = 0,86).
Nebenwirkungen
Irritative Miktionsprobleme traten bei etwa einem Drittel der Patienten auf, alle weiteren Komplikationen lagen im niedrigen Prozentbereich:
– Harndrang, Pollakisurie, erschwertes Wasserlassen: 204 Pat. (33 %)
– Passagerer Harnverhalt mit Katheterversorgung: 15 Pat. (2,4 %)
– suprapubische Dauerableitung > 3 Monate: 4 Pat. (0,6 %)
– TUR-Prostata/Lasertherapie post-Brachy: 4 Pat. (0,6 %)
– Botoxinjektion bei ausgeprägter Urgency: 3 Pat.
– Rektale Komplikationen: 3 Pat.
Diskussion
Insgesamt zeigte das Verfahren der LDR-BT gute onkologische Ergebnisse bei Patienten mit einem Gleason-Score von 6 und 7a. Das bRFS lag in beiden Gruppen bei ca. 90 %. Es bestand kein Unterschied in der onkologischen Wirksamkeit zwischen Gleason-Score 6 und 7a. Ein signifikanter Unterschied wurde ab einem Gleason-Score von 7b (4+3) beobachtet, die Wahrscheinlichkeit für ein PSA-Rezidiv war 170 % höher als bei Patienten mit einem Gleason-Score von 7a (p-Wert < 0,00001) (Abb. 2).
Trotz guter onkologischer Effektivität bei Patienten mit einem Gleason-Score von 6 und 7a kommt die LDR-BT als Monotherapie ab einem Gleason Score von ≥ 7b (4+3) an eine Effektivitätsgrenze. Unsere Ergebnisse decken sich hierbei mit der aktuellen Literatur. In der Patientengruppe mit Gleason-Score von 7b und mehr bzw. intermediate und high risk nach D‘Amico kann aber durchaus eine kombinierte Strahlentherapie (LDRBT 110 Gy und ext. Strahlentherapie Boost 45 Gy) in Erwägung gezogen werden mit einer bRFS von etwa 75 % nach 10 Jahren) (▶ Abb. 4).
Fazit für die Praxis
– Das Verfahren der LDR-BT stößt als Monotherapie bei Patienten ab einem Gleason-Score von 7b an seine Effektivitätsgrenze. Hier könnte zukünftig eine kombiniere Strahlentherapie (LDR-BT (110 Gy) + EBRT (45 Gy)) in Erwägung gezogen werden.
– Bei Patienten mit einem Gleason-Score von 6 und 7a zeigt die LDR-BT jedoch gute onkologische Ergebnisse. Unsere Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen der bestehenden Literatur überein. Sie zeigen, dass die LDR-BT beim richtigen Indikationsspektrum eine onkologisch sichere Alternative in der Therapie sein kann.
– Die LDR-BT führt beim lokal begrenzten Prostatakarzinom zu einer guten post-operativen Lebensqualität für die Patienten mit einer geringen post-operativen Beeinträchtigung, der Möglichkeit einer ambulanten Behandlung und einer Arbeitsunfähigkeit von nur 2–3 Tagen ohne weiterführende Reha-Maßnahmen.
Hinweis: Inhalte dieses Artikels waren Teil einer anderen Publikation der Autoren:
Carl, N., et al. Langzeitauswertung der Low-dose-rate(LDR)-Brachytherapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms. Urologie (2023).
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Stefan Carl
Urologische Belegabteilung
Kreiskrankenhaus Emmendingen
79312 Emmendingen
carl.s@t-online.de
Weitere Informationen finden Sie auch unter
www.uroforum.de
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Dieses Video dient der medizinischen Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten von Prostatakrebs